PRESSEBERICHT
Bericht über das 7.
Interdisziplinäre Mistelsymposium:
"Die Mistel in der Tumortherapie - Grundlagenforschung und
Klinik
Das 7. Mistelsymposium fand in der Europäischen Akademie
Otzenhausen (Nonnweiler / Saarland) vom 7.-9. November 2019 statt.
Es trafen sich etwas über 100 Wissenschaftler und Ärzte
verschiedener Disziplinen und Fachrichtungen, um aktuelle
Ergebnisse aus Forschung und Klinik zu Mistel-Extrakten und ihrem
Einsatz in der Tumortherapie zu präsentieren und intensiv zu
diskutieren. Bei vielen Patienten in Deutschland, Österreich und
der Schweiz werden auf der Basis ärztlicher Verschreibung und
Kontrolle Mistelpräparate in der Tumortherapie ergänzend zu
konventionellen Therapieformen wie Chemotherapie oder Bestrahlung
eingesetzt. Ziel des Mistelsymposiums war es daher auch, Brücken zu
schlagen zwischen verschiedenen Therapierichtungen in der Onkologie
und die Misteltherapie zu beleuchten auf der Basis von
Grundlagenforschung, pharmakologischen Daten, präklinischen und
klinischen Studien, Einzelfallbeobachtungen und auch der
Psychoonkologie. In über 30 Übersichts- und Kurzreferaten und knapp
30 Postern wurden Daten zur Mistel und zur Misteltherapie
präsentiert.
Das Symposium wurde veranstaltet und gefördert von der Karl und
Veronica Carstens-Stiftung und der Gesellschaft Anthroposophischer
Ärzte in Deutschland (GAÄD) gemeinsam mit der Gesellschaft für
Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung (GA), der Deutschen
Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG), der Gesellschaft für
Phytotherapie (GPT) und dem Zentralverband der Ärzte für
Naturheilverfahren und Regulationsmedizin (ZAEN).
Kooperationspartner waren die Arbeitsgemeinschaft für
Pharmazeutische Verfahrenstechnik (APV) sowie die European Society
of Integrative Oncology (ESIO).
Die Tagung stand unter der Gesamtleitung von Dr. Rainer Scheer
vom Carl Gustav Carus-Institut (Niefern-Öschelbronn) und Prof. Dr.
Harald Matthes, Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe u.
Charité-Universitätsmedizin (Berlin). In der wissenschaftlichen
Organisation wurden sie unterstützt von Prof. Dr. Alban (Kiel),
Prof. Dr. Becker (St. Ingbert), Prof. Dr. Beer (Hattingen), Prof.
Dr. Blaschek (Kiel) Prof. Dr. Klein (Tübingen), Prof. Dr. Kreis
(Erlangen), Dr. Leneweit (Niefern-Öschelbronn), Dr. Spahn (Mainz)
und Dr. Stange (Berlin).
Im Folgenden soll auf einige interessante Beiträge kurz
eingegangen werden.
Es konnte neuerdings gezeigt werden (Prof. Braun, Inst. f.
Pflanzengenetik, Univ. Hannover), dass die mitochondriale
Atmungskette, die normalerweise bei Tieren, Pilzen und Pflanzen
unter Beteiligung der Komplexe I - IV stattfindet, bei der
Mistelpflanze sehr ungewöhnlich abläuft. Der
NADH-Dehydrogenase-Komplex (Komplex I) ist bei Viscum
album nicht vorhanden, was eigentlich keine funktionierende
Atmungskette erlauben sollte. Hier bilden jedoch die Komplexe III
und IV einen Superkomplex und eine Reihe von alternativen
Oxidoreduktasen sind vorhanden. Dadurch kann die Atmungskette zur
Energiegewinnung (ATP) zwar weniger effizient, aber dennoch
lebenserhaltend für die Mistel ablaufen.
In einem Beitrag von Prof. Pfüller (Univ. Hamburg) wurde auf
potentielle Wirkstoffe der Mistel eingegangen. Dazu zählen vor
allem Mistellektine (ML-I, ML-II, ML-III, CBL) und Viscotoxine. Es
konnte gezeigt werden, dass verschiedene Methoden der Isolierung,
Weiterbehandlung und Aufbewahrung von Mistellektinen und
Viscotoxinen einen erheblichen Einfluss auf ihre Stabilität und
somit ihre Reaktivität haben können. Reine Mistellektine können in
Gramm-Mengen verfügbar gemacht werden und in geeigneten Puffern als
Suspension bei niederen Temperaturen jahrelang stabil bleiben,
während isolierte Viscotoxine bisher noch nicht in solch hohen
Mengen vorliegen, aber dafür als Lyophilisat auch bei
Raumtemperatur hohe Stabilität aufweisen. Isolierte Mistellektine
oder Viscotoxine sind also für detaillierte Untersuchungen zu
Wirkmechanismen und Interaktionen mit dem Immunsystem sowie als
Standardsubstanzen für die Analytik verfügbar.
Kolloidale Formulierungen von Mistelextrakten können für eine
intravenöse Behandlung in hoher Dosierung eingesetzt werden (Dr.
Leneweit, Carl Gustav Carus-Institut, Niefern-Öschelbronn). Dazu
werden mit Heparin ummantelte Liposomen (Schutz vor körpereigenem
Immunsystem) in speziellen Verfahren hergestellt, welche
Mistelextrakte beinhalten und am Zielgewebe die Wirkkomponenten wie
z.B. Mistel-Lektine wieder freisetzen sollen.
Die Mistel kommt auf verschiedenen Wirtsbäumen vor und ihr
Inhaltsstoff-Muster kann dadurch mit beeinflusst werden.
Entsprechende Mistelextrakte von Misteln diverser Laubbäume
(Apfelbaum, Eiche, Ulme) wurden durch Chromatographie gekoppelt mit
Elektrospray-Ionisation näher untersucht (PD Dr. Baumgartner, Inst.
Hiscia, Arlesheim, CH). Es konnten in einer Metabolomic-Auswertung
wirtsbaumspezifische Signal-Cluster und Hauptsignale zugeordnet
werden. Extrakt von Ulmen-Mistel wies z.B. einen höheren
Arginin-Gehalt auf als die anderen, während Extrakt der
Apfel-Mistel sich auszeichnete durch das Vorkommen von
Sinapoyl-Chinasäure. Inwieweit solche wirtsbaumspezifischen
Inhaltsstoffe in Mistelextrakten von Bedeutung sind für ihre
pharmakologische Aktivität, bedarf weiterer Aufklärung.
Eine Übersicht zu belastender Erschöpfung (Fatigue) und
Schlafstörungen (Insomnia) als Begleiterkrankungen bei
Brustkrebspatientinnen bot PD Dr. Kröz (Forschungsinst. Havelhöhe,
Berlin). Für beide eng assoziierten zusätzlichen Leiden existieren
verschiedenen Studien zufolge mehrere Behandlungsmöglichkeiten wie
z.B. Bewegungstherapie (Yoga, Aerobic), Psychoedukation,
Schlaf-Training oder auch Behandlung mit Mistel-Präparaten. Ihr
Beitrag zur Verbesserung dieser Leiden wurde in randomisierten,
kontrollierten Studien nachgewiesen.
In einer kontrollierten, randomisierten Studie mit
Brustkrebspatientinnen konnte gezeigt werden, dass Misteltherapie
Fatigue-Symptome bessern kann, was einhergeht mit einer
Verbesserung einiger entzündungsspezifischer Immunparameter (Dr.
Reif, Gesellschaft für klinische Forschung, Berlin).
Einen Überblick zu aktuellen Entwicklungen in der klinischen
Forschung zur Misteltherapie bei Krebserkrankungen bot Dr. Kienle
(IFAEMM, Univ. Witten/Herdecke, Freiburg). In verschiedenen
Studien, die sich im Design und auch in der Qualität häufig jedoch
unterscheiden, werden immer wieder der Einfluss einer
Misteltherapie auf Überlebenszeit, auf Tumor-Wachstum und
-Ausbreitung, auf Lebensqualität und auf Verträglichkeit von
operativen Eingriffen oder Chemo- und / oder Bestrahlungs-Therapie
untersucht. Generell ergeben sich die besten Hinweise auf eine
Verbesserung der Lebensqualität sowie der Verträglichkeit einer
Behandlung mit Chemotherapeutika. In einer kontrollierten Studie zu
Pankreaskrebs konnte eine signifikante Verlängerung der Lebenszeit
festgestellt werden. Bei lokaler Applikation von hohen Dosen an
Mistel-Extrakten wurde bei manchen Krebsarten verschiedentlich auch
Tumor-Remission bobachtet.
Über eine begonnene prospektive, randomisierte, multizentrische,
doppelt verblindetete, placebo-kontrollierte Phase-III-Studie mit
290 Patienten mit primärem und rezidivierendem
Bauchspeicheldrüsen-Krebs berichtete Frau Wode (Regional Cancer
Center Stockholm, SE). Von Interesse sind vor allem die
Auswirkungen der wiederholten sucutanen Applikation von
Mistelextrakten auf die Überlebenszeit und die Lebensqualität sowie
auf verschiedene Immun-Parameter wie z.B. die Bildung von
Antikörpern gegen Mistel-Lektine, die Menge an Cytokinen,
Eosinophilen und Neutrophilen oder die NK-Zell-Zytotoxizität. Auf
Ergebnisse der noch nicht abgeschlossene Studie darf man gespannt
sein; erste Ergebnisse deuten auf eine leicht verlängerte
Überlebenszeit und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität
hin.
Glioblastom ist der häufigste bösartige und aggressive Hirntumor
bei Erwachsenen; die mittlere Überlebenszeit liegt trotz intensiver
Behandlung meist unter 20 Monaten. Die Beeinflussung der
Gliomzell-Mobilität durch Mistel-Extrakte und rekombinant in E.
coli hergestelltem, nicht glykosiliertem Mistellektin-I wurde
gezielt untersucht (Prof. Naumann, Hertie Inst. für Klinische
Hirnforschung, Univ. Tübingen). Es konnte gezeigt werden, dass die
Migrationsfähigkeit von Gliomzellen unter Mistel-Behandlung
(intratumoral oder subcutan) reduziert wurde durch Veränderung der
Expression von Genen, welche die Migration, die Invasion und die
Zell-Adhäsion steuern (TGF-β-Signalweg). Intratumorale Applikation
von Mistel-Präparaten könnte somit als adjuvante Therapie hilfreich
werden.
In der pädiatrischen Onkologie wird neben Chemo- und
Strahlentherapie auch Misteltherapie durchgeführt, teilweise auch
sehr hoch dosierte i.v.-Gabe von Mistel-Extrakt in 0,9 %
NaCl-Lösung (Dr. Zuzak, Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke,
Herdecke). Es wurde gezeigt, dass Etoposid- und
Cisplatin-resistente Neuroblastom-Zelllinien auch gegen
Mistel-Behandlung höhere Resistenz aufwiesen als die ursprünglichen
Zelllinien. Für Kombinationen von Chemo- und Mistel-Therapie
sowie Strahlen- und Misteltherapie konnten synergistische Effekte
in Bezug auf eine reduzierte Kolonie-Bildung festgestellt
werden.
Frau PD Dr. Jüngel (Klinik u. Poliklinik für Urologie u.
Kinderurologie, Univ. Mainz) stellte präklinische Studien zur
Therapie von urologischen Tumoren (Nierenzell-, Blasen-,
Prostata-Karzinome) mit steigenden Konzentrationen an verschiedenen
Mistel-Extrakten (unterschiedliche Wirtsbäume) vor. Es konnte eine
konzentrationsabhängige Wirkung auf Tumorzell-Wachstum und
-Proliferation gezeigt werden. Wachstums-Hemmung korrelierte mit
einem veränderten Profil der Integrin-Expression (Integrine α-3,
α-5, α-6) sowie einem Stillstand des Zellzyklus in der G0/G1-Phase
oder in der S-Phase. Die Daten sprechen für die Anwendung von
adjuvanter Mistel-Therapie bei urologischen Tumor-Erkrankungen.
Zahlreiche Untersuchungen von Mistel-Extrakten konzentrieren
sich auf die Mistellektine und die Viscotoxine. Mistelpflanzen
enthalten aber eine Reihe weiterer, interessanter Inhaltsstoffe,
darunter verschiedene Triterpensäuren wie Oleanolsäure und
Betulinsäure. Diese lipophilen Verbindungen sind in herkömmlichen
wässrigen Mistel-Extrakten nur in geringen Konzentrationen
vorhanden. Prof. Seifert (Otto-Heubner-Centrum für Kinder- u.
Jugendmedizin, Charité, Berlin) berichtete über ein Verfahren, bei
dem die Inhaltsstoffe eines lipophilen Extrakts solubilisiert
wurden mit Hilfe von Cyclodextrinen, so dass wasserlösliche
Extrakte gewonnen werden konnten, die reich an Triterpensäuren (vor
allem Oleanolsäure) sind. Diese wurden in Kombination mit
Mistellektin-reichem konventionellem Extrakt zur Testung an
verschiedenen Tumorzell-Linien (Leukämien, Sarkome, Neuroblastome,
Brustkrebs, Karzinome) eingesetzt. Es konnte mit den kombinierten
Extrakten häufig Apoptose induziert werden. In
Xenograft-Mausmodellen mit Tumor-Zellen von Patienten konnte
ebenfalls eine gute Wirksamkeit demonstriert werden. Die Daten
sprechen für eine vielversprechende Anwendung an
Tumor-Patienten.
Über ein Modell für Integrative Onkologie berichtete Dr. Müller
(Klinik für Naturheilkunde, Hattingen), das zusammen mit dem
St.-Josef-Hospital an der Ruhr-Univ. Bochum realisiert wurde. Für
Patienten mit verschiedenen Tumor-Erkrankungen werden wiederholte
Beratungsgespräche geführt, bei denen neben einem Onkologen auch
ein Arzt mit der Fachrichtung Naturheilkunde beteiligt ist. Dadurch
gelingt es, verschiedene naturheilkundliche Therapieformen,
darunter die Misteltherapie, besser zu vermitteln, was positive
Auswirkungen auf die Verträglichkeit konventioneller Therapieformen
hat und das Allgemeinbefinden der Patienten verbessert.
Bei über 100 Patienten mit primären Leber-Karzinomen wurde neben
Chemotherapie eine Applikation von Mistel-Extrakten (Eichen-Mistel)
per Katheter in teilweise hohen Konzentrationen durchgeführt (Prof.
Galun, Clinical Center of Serbia, Belgrad, SRB). Die mittlere
Überlebenszeit stieg in der Mistel-Gruppe im Vergleich zur
Kontrollgruppe von 246 auf 430 Tage. War die Mistel-Therapie mit
Fieberschüben verbunden, führte dies zu einer leicht verbesserten
weiteren Überlebenszeit. Hintergrund dürfte eine Stimulation des
Immunsystems sein.
Prof. Dingermann (Inst. Pharm. Biologie, Goethe-Univ. Frankfurt)
berichtete über den Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren in der
Tumortherapie, der seit einigen Jahren zunehmende Bedeutung erlangt
hat. Immun-Checkpoints (Kontrollpunkte) basieren auf
Oberflächen-Proteinen mit spezifischen Rezeptoren, die gemeinsam
mit ihren Liganden verhindern, dass das Immunsystem köpereigene
Zellen attackiert. Werden bei Tumoren diese Oberflächen-Proteine
stark exprimiert, entgehen die Tumorzellen dem Angriff durch das
Immunsystem. Checkpoint-Inhibitoren sind monoklonale Antikörper
(Namensendung -mab), welche an einen Rezeptor binden (z.B. PD-1 =
programmed cell death receptor 1) oder an seinen Liganden (z.B.
PD-L1 = programmed cell death receptor-ligand 1). Das inhibierende
Signalmolekül PD-1 ist hauptsächlich auf der Oberfläche aktivierter
T-Zellen zu finden (ein checkpoint). Seine Liganden PD-L1 sind
exprimiert auf der Oberfläche von Zellen des hämaotpoetischen
Systems, des Endothels und von Epithelien, während PD-L2
hauptsächlich in Organen wie Lunge und Darm exprimiert wird. Durch
Bindung von PD-1 an seine Liganden wird ein Angriff auf
körpereigene Zellen verhindert. Zur Tarnung (als normale
Körperzellen) können Tumorzellen z.B. PD-L1 überexprimieren;
dadurch werden Immunzellen wie z.B. zytotoxische T-Zellen in Ihrer
Aktivität gegen diese Tumorzellen ausgebremst. Der
Checkpoint-Inhibitor Nivolumab z.B. bindet an PD-1, das nun nicht
mehr an PD-L1 auf Tumorzellen binden kann, und damit kann eine
effektive Immunabwehr gegen die Tumorzellen induziert werden. Es
wurden teilweise beachtliche Behandlungserfolge bei verschiedenen
Tumorarten erzielt. Allerding kann die Aktivierung des Immunsystems
durch Checkpoint-Inhibitoren auch mehr oder weniger schwere
autoimmune Nebenwirkungen verursachen wie z.B. Erschöpfung,
Hautausschlag, Juckreiz, Durchfall und Übelkeit.
Mistel und Immun-Therapie war das Thema eines Beitrags von Frau
Dr. Weissenstein (Verein für Krebsforschung, Hiscia-Institut,
Arlesheim, CH). Bestrebung aktueller Forschung ist es, Wege zu
finden, auf Immun-Checkpoints und damit die Immunogenität von
Tumoren einzuwirken. Mistel-Lektine weisen übrigens auch eine
agonistische Eigenschaft für Toll-like Rezeptoren (TLRs) auf, die
bei der angeborenen Immunität eine zentrale Rolle spielen. TLRs
erkennen u.a. pathogenspezifische Muster (Proteine,
Lipopolysaccharide, Kohlenhydrate) auf pathogenen Erregern, die auf
körpereigenen Zellen nicht vorkommen. Mistelextrakte können
Komponenten des angeborenen und des adaptiven Immunsystems
aktivieren, u.a. die Freisetzung pro-inflammatorischer Cytokine
oder auch die Reifung von Dendritischen Zellen. Durch Präsentation
von Tumor-Antigenen können dann tumorspezifische zytotoxische
T-Lymphozyten aktiviert werden. Die Aufklärung der Wirkung von
Mistel-Lektinen auf Immun-Checkpoints bedarf weiterer intensiver
Forschung.
Über den Status der Mistel-Therapie bei Brust- und Lungenkrebs
berichtete Prof. Matthes (Klinik Havelhöhe u. Charité, Berlin). Für
Radio- und Chemotherapie begleitende Mistel-Therapie bei Brustkrebs
liegen 14 vergleichende Studien vor. Insbesondere werden bei guter
Verträglichkeit die Lebensqualität verbessert und
Erschöpfungszustände (Fatigue) verringert. Zur Behandlung von
Lungenkrebs mit begleitender Misteltherapie liegen 7 kontrollierte
klinische Studien vor. Auch hier konnte eine positive Beeinflussung
der Lebensqualität festgestellt werden. Bei direkter Gabe in den
Lungentumor konnte auch eine Reduktion der Tumormasse und eine
signifikante Verlängerung der Überlebenszeit festgestellt werden.
Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren wurden durch
Mistel-Therapie gemildert.
Die Therapie von nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom mit
Checkpoint-Inhibitoren wurde auch mit Mistel-Therapie kombiniert
(Dr. Grah, Klinik Havelhöhe, Berlin). Eine noch nicht beendete,
prospektive Beobachtungsstudie zeigte vorläufig, dass mit
adjuvanter Misteltherapie die Lebensqualität verbessert werden
kann.
Die Überlebenszeit von Patienten mit metastasierendem
nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom bei adjuvanter Mistel-Therapie
wurde dokumentiert (B. Matthes, Klinik Havelhöhe, Berlin). Von 158
Patienten erhielten 108 eine Chemotherapie und 50 eine zusätzliche
Mistel-Therapie. Die Überlebenszeit wurde bei kombinierter Therapie
von durchschnittlich 8 auf 17 Monate verlängert. Die
Verträglichkeit der Chemotherapie wurde durch Mistel-Therapie
verbessert.
Bei 95 Patientinnen mit nicht metastasiertem Brustkrebs wurden
vor, während und nach onkologischer Behandlung ausführliche
Beratungs- und Biografie-Gespräche geführt (Dr. Schad, Klinik
Havelhöhe, Berlin). Es zeigte sich, dass dadurch deutliche
Verbesserungen in Bezug auf allgemeinem Gesundheitszustand,
Lebensqualität, Fatigue sowie emotionale, psychische, soziale und
kognitive Probleme erzielt werden konnten.
Auf den Einfluss von finanziellen Belastungsproblemen von
Patienten mit Lungen- oder Brustkrebs auf deren Lebensqualität und
Überlebensdauer ging Frau Dr. Thronicke (Klinik Havelhöhe, Berlin)
ein. Insgesamt wurden Befragungen mit 314 Patienten durchgeführt.
Finanzielle Belastungsprobleme waren assoziiert mit Ängstlichkeit,
Mutlosigkeit und Depressionen. Stärker betroffen waren vor allem
jüngere Patienten. Auswirkungen auf den allgemeinen
Gesundheitszustand waren gegeben.
Prof. Matthes (Klinik Havelhöhe u. Charité, Berlin) berichtete
über Psychoonkologie, also die psychologische Betreuung von
Patienten mit Lungen- oder Brustkrebs. Wird diese intensiv
durchgeführt, verbessert sich die Lebensqualität der Betroffenen
und es kann auch zu einer Verlängerung der Überlebenszeit kommen.
Bis zu 30 % der Krebskranken entwickeln psychische Störungen, was
durch Psychoonkologie weitgehend verhindert werden kann. Nach
heutiger Kenntnis gibt es keine typische Krebs-Psyche. Häufige
Probleme der Erkrankten sind, dass sie sich als gefühllos handelnd
empfinden oder sich handlungsunfähig fühlen. Verschiedene
Therapiekonzepte können hilfreich sein: Kunst-Therapie, Yoga,
Mediation, Bewegungsübungen und auch Mistel-Therapie. Von Bedeutung
sind Gespräche über soziale Beziehungen, Einbindung der Familie,
Besprechung der Zukunft und der Möglichkeiten einer Gestaltung der
weiteren Lebenszeit.
Auf Besonderheiten der psychoonkologischen Betreuung von
Patienten mit Lungenkarzinom ging Dr. Grah (Klinik Havelhöhe,
Berlin) ein. Gerade bei Rauchern spielen Selbstschuld-Gefühle eine
große Rolle. Die Krankheitsverarbeitung ist häufig problematisch,
die Erwartungshaltung ist, dass ein baldiger, schrecklicher Tod
droht. Unter Distress, Ängsten und Depressionen leiden 50-60 % der
Patienten. An der Klinik Havelhöhe wurde ein zusätzliches
Therapieprogramm für diese Patienten entwickelt, das mit
Mistel-Therapie (i.v.-Applikation) gekoppelt werden könnte.
Dr. Flür (Gemeinschaftspraxis in Gevelsberg) stellte
Einzelfallberichte zu Tumorpatienten mit begleitender
Misteltherapie vor. Diese betrafen 3 Patienten mit B-Zell-Lymphom
und eine Brustkrebspatientin. Die Beobachtungszeit lag zwischen 5
und 10 Jahren. Die Verträglichkeit der Misteltherapie mit
unterschiedlichen Präparaten war auch bei hoher Dosierung gut.
Misteltherapie hatte keinen negativen Einfluss auf eine Therapie
mit Checkpoint-Antikörpern. Ein positiver Einfluss auf die
Lebensqualität und den Immunstatus erlaubte längerfristige
Anwendung konventioneller Therapien.
Über intraperitoneale, intrapleurale und intratumorale
Applikation von Mistel-Extrakten berichtete Dr. Wiebelitz (Hospital
Prignitz, Perleberg). Die 6 Patienten litten unter metastasierenden
Tumoren (Mammakarzinom, kleinzelliges Lungenkarzinom,
Peritonealkarzinose). Es wurden verschiedene Mistelpräparate und
Dosis-Steigerungen bis zu teilweise sehr hohen Dosen angewendet
(z.B. Abnobaviscum fraxini 60 - 1200 mg i.v.). Es konnte eine
Verbesserung des Allgemeinzustands festgestellt werden und
teilweise auch eine nachhaltige Tumorkontrolle.
Systemische Entzündungsreaktion wurden nach i.v.-Gabe von
Mistel-Extrakten bei Patienten mit fortgeschrittenen
Tumorerkrankungen näher untersucht (Dr. Kuehn, Zentrum für
Integrative Onkologie, Olten, CH). Es wurden
durchflusszytometrische Untersuchungen und Cytokin- und
Akut-Phase-Protein-Analysen durchgeführt sowie die Körpertemperatur
bestimmt. Durch intravenöse Mistel-Applikation (20 - 100 mg 1 x
wöchentlich) wurde erhöhte Körpertemperatur erzeugt sowie das
Immunsystem angeregt. Ein Anstieg der Anzahl an weißen
Blutkörperchen und Neutrophilen wurde festgestellt ebenso wie eine
erhöhte Konzentration an proinflammatorischen Cytokinen (z.B.
IL-12). Knochenmark-Stimulation resultierte nach 24 h in höherer
Lymphozyten-Anzahl, das Neutrophilen : Lymphozyten-Verhältnis nahm
ab und der Akut-Phase-Protein-Spiegel stieg. Damit wird durch
Mistel-Applikation das zelluläre und das humorale Immunsystem
stimuliert sowie die Bildung von immunkompetenten Zellen im
Knochenmark gefördert.
Auch Prof. Bar-Sela (Emek Medical Centre, Afula, ISR) berichtete
über i.v.-Applikation von Mistel-Extrakten bei Tumorpatienten. Es
wurde 20 entsprechende Studien ausgewertet. Prinzipiell können
höhere Dosierung eingesetzt werden als bei s.c.-Applikation.
Positiv beeinflusst wurden häufig die Lebensqualität, Fatigue oder
Atemnot bei Lungenkarzinom-Patienten. In einer begonnenen Phase-I
Studie wurden i.v.-Dosen von 2 000 mg Mistel-Extrakt gut vertragen.
Weitere Ergebnisse der Studie müssen abgewartet werden.
Bei Osteosarkoma-Patienten wurde eine Erhaltungstherapie nach
zweitem Rückfall mit Etoposid (Topoisomerase-Inhibitor) oder
Mistel-Extrakt (Viscum album Fermentatum Pini, s.c.-Applikation)
über längeren Zeitraum durchgeführt (Dr. Reif, Gesellschaft für
klinische Forschung, Berlin). Nach 10 Jahren war unter
Mistel-Therapie das krankheitsfreie Überleben signifkant besser als
unter Etoposid-Gabe.
Die in der Vergangenheit stattgefundene Entwicklung
verschiedener Richtungen der integrativen Medizin beleuchtete Dr.
Meyer (prakt. Arzt, Nürnberg). Komplementärmedizin und
konventionelle Medizin können sich sinnvoll gegenseitig ergänzen.
Dies kann sich in effektiveren Heilmethoden und verbessertem
Gesundheitszustand niederschlagen. Soziales Leben, Kultur,
Erziehung, Gesellschaft und Umwelt haben neben medizinischen
Maßnahmen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die
Gesundheit und auf Heilungsprozesse.
Dr. Reif (Gesellschaft für klinische Forschung, Berlin)
berichtete über den Einfluss einer ergänzenden Mistel-Therapie auf
Schmerz und Schmerzmittel-Verbrauch bei Pankreas-Tumor-Patienten,
bei denen häufig schon Metastasen im Abdomen, Rücken oder den
Beinen vorlagen. Unter adjuvanter Mistel-Behandlung
(s.c.-Applikation in steigender Dosierung bis 10 mg 3 mal
wöchentlich) nahmen die Schmerzen ab und der Schmerzmittelverbrauch
konnte reduziert werden.
Einen systematischen Überblick und eine Metaanalyse zum Einfluss
von Mistel-Therapie (Iscador) auf die Überlebenszeit von
Krebspatienten bot Prof. Ostermann (Univ. Witten/Herdecke).
Verschiedene Datenbanken wurden für die Suche nach entsprechenden
Publikationen herangezogen und klare Einschluss-Kriterien erhoben.
Es wurden 82 kontrollierte Studien ausgewertet, die verschiedene
Tumorarten betrafen. Der beste Einfluss einer Mistel-Behandlung auf
eine verlängerte Überlebenszeit ergab sich bei
Gebärmutterhalskrebs, der geringsten Effekte wurden bei
Lungentumoren festgestellt. Die allgemeine Hazard-Ratio betrug 0,59
zugunsten der Mistel-Therapie. Die Daten sprechen für eine
Verbesserung der Überlebenszeit bei Tumor-Erkrankungen durch
adjuvante Mistel-Therapie.
In zwei interessanten Abendvorträgen wurde die Geschichte der
Medizin, der Naturheilkunde und der Phytotherapie vor dem
Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Ereignisse und
wechselndem Weltbild dargestellt (Prof. Beer, Klinik für
Naturheilkunde, Hattingen) sowie ein Blick geworfen auf das
Selbstmanagement von Patienten im heutigen und zukünftigem
Gesundheitssystem als Herausforderung für die Zukunft (Annette
Bopp. Journalistin u. Buchautorin, Hamburg).
In zwei Poster-Sessions wurden auch viele interessante
Untersuchungen zu Inhaltsstoffen der Mistel und Anwendung von
Mistel-Extrakten gezeigt. Hier ergab sich die schöne Möglichkeit,
direkt mit den Autoren intensive Gespräche zu führen.
Die Mistelsymposien finden seit 1995 alle vier Jahre statt,
sodass im November 2023 das nächste Symposium folgen soll. Weitere
Informationen über alle Mistelsymposien sind in dieser Homepage
enthalten. Die Abstracts der Beiträge zum 7. Mistelsymposium sind
in Phytomedicine 61 (2019) Supplement 1 (Elsevier) in englischer
Sprache publiziert und im Internet unter
https://www.sciencedirect.com/journal/phytomedicine/vol/61/suppl/S1
frei verfügbar. Die ausführlichen Beiträge werden wie in der
Vergangenheit als Buch beim KVC-Verlag (Karl und Veronica
Carstens-Stiftung) voraussichtlich bis Ende 2020
veröffentlicht.
Prof. Dr. Wolfgang Blaschek, 1. Dezember 2019
Weitere Berichte in der Fachpresse:
ZAEN Magazin
4/2019: 59-60.
Deutsche Apotheker Zeitung, Nr. 3,
160. Jahrgang (16.01.2020), Seite 65.
Der
Merkurstab 73 (2): 130-133.
Newsletter
der Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung
e.V.: S. 23-24.